Ein Drehknopf, mit dem sich das Autonomielevel eines Fahrzeugs wählen lässt.

Wann wird das Auto
endlich selbstständig?

Für eine Schlagzeile sind autonom fahrende Autos immer gut. Doch wie gut sind sie wirklich? Ist die Technik bald einsatzreif oder bleibt sie ewig Utopie?

Es klingt eigentlich ganz einfach: Was Menschen im Straßenverkehr an Sinnesleistungen und Entscheidungen hinbekommen, kann doch auch Technik übernehmen. Künstliche Intelligenz (KI) ist das aktuelle Mega-Thema. Viele Firmen lassen einen Chatbot die Fragen ihrer Kunden beantworten. Texte schreiben kann eine KI auch schon so gut, dass kaum einer merkt: Dahinter steckt ja gar kein Mensch mehr. Menschen machen Fehler, gut gemachte Technik funktioniert fehlerfrei.

Eine Crash-Nachricht geht um die Welt

Kontrastprogramm: San Francisco, Anfang Oktober 2023. Eine Fußgängerin wird von einem autonomen, fahrerlosen Robotaxi überrollt und mehrere Meter mitgeschleift. Sie überlebt schwer verletzt. Ein Unfall, wie er jeden Tag und überall passieren könnte, wenn Autofahrer oder Fußgänger unaufmerksam sind. Bemerkenswert ist bei diesem Unfall der genaue Hergang: Die Fußgängerin war tatsächlich unvorsichtig, wurde von einem Auto erfasst, an dessen Steuer ein Mensch saß. Sie fiel auf die Straße vor das Robotaxi, das sofort bis zum Stillstand bremste, doch die Kollision nicht verhindern konnte. Dann aber fuhr das Taxi wieder an und schleifte die Frau mit.

Wie trainiert man selbstfahrende Autos?

Der Grund: Die Robotaxis des Unternehmens Cruise, einer Tochter von General Motors, sind so programmiert, dass sie nach leichten Unfällen an den Straßenrand fahren, um den Verkehr nicht zu behindern. Dass dabei ein Mensch mitgeschleift werden könnte, der unter die Räder gekommen ist, war im Programm offenbar nicht vorgesehen. Das Beispiel zeigt das Dilemma selbststeuernder Fahrzeuge auf: Wie trainiert man sie, auch in unvorhersehbaren Situationen so zu reagieren, dass Menschen die Reaktion für angemessen und richtig halten? Und: Wieviel Sensorik brauchen die Fahrzeuge, um in jeder Situation die richtige Entscheidung zu treffen?

Eine Mercedes-Limousine mit der Aufschrift Drive Pilot inside an der Seitentür
Der Drive Pilot von Mercedes-Benz ist ein Schritt auf dem Weg zu automati-sierten Fahrzeugen, zugelassen bis zu einer Geschwindigkeit von 60 km/h. Bild: Mercedes-Benz AG

Der Weg zu vollautomatischen Fahrzeugen ist so lang, dass die Automobilindustrie ihn in Etappen unterteilt hat, die sogenannten SAE-Levels. SAE steht für Society of Automotive Engineers, eine gemeinnützige Technik-Organisation in den USA, die Standards für die Automobilindustrie entwickelt. Das Auto, wie die meisten Menschen es heute kennen und benutzen, bewegt sich auf dem SAE-Level 0: Alle Aufgaben im Straßenverkehr übernimmt der Mensch am Steuer. Auf Level 1 sind Assistenzsysteme aktiv, beispielsweise ein Abstandsregeltempomat, der die Distanz zu einem vorausfahrenden Fahrzeug konstant hält und dazu Motor- und Bremseingriffe vornimmt.

Automatisiertes Fahren beginnt bei SAE-Level 3

Auf Level 2 tritt der Mensch am Steuer einige Funktionen wie das Einparken oder das Halten einer Fahrspur an die Assistenzsysteme ab, man spricht von Teilautomatisierung. Auf Level 3 beginnt das automatisierte Fahren: Der Mensch am Steuer muss nicht ständig aktiv sein, sein Fahrzeug kann selbstständig die Spur wechseln und dabei vorschriftsmäßig blinken. Fahrerin oder Fahrer müssen aber jederzeit eingreifen können und werden in Gefahrensituationen vom Fahrzeug dazu aufgefordert.

Auf Level 4 können Fahrzeuge hochautomatisiert und im autonomen Modus komplett selbstständig am Straßenverkehr teilnehmen, ohne dass ein Mensch eingreifen muss. Fahrzeuge dieser Kategorie sind die Robotaxis in San Francisco, für die der Betreiber Cruise und sein Wettbewerber Waymo, ein Tochterunternehmen von Google, 2021 eine Zulassung erhalten haben. Seit August 2023 dürfen die Taxis in der Millionenstadt auch ohne Fahrer am Steuer unterwegs sein. Beziehungsweise durften: Nach dem Unfall mit der Fußgängerin musste Cruise seine fahrerlosen Robotaxis aus dem Verkehr ziehen, der Chef von Cruise warf das Handtuch und verließ das Unternehmen. General Motors fror die Entwicklung einer revolutionär neuen Fahrzeug-Generation ohne Lenkrad und Pedale – das wäre dann SAE-Level 5 – bis auf weiteres ein.

Pionier Tesla nur auf niedrigem Niveau

Der Autopilot des Elektro-Autobauers Tesla entspricht in seiner höchsten Ausbaustufe, vollmundig als „Full Self Driving“ bezeichnet, bis dato lediglich dem SAE-Level 2. Das System kann unter anderem selbsttätig die Fahrspur wechseln, automatisch einparken, Verkehrszeichen und Ampeln erkennen. Um die Fahrzeugumgebung zu erkennen und zu analysieren, stützt es sich primär auf Kameradaten. Verantwortlich für die Fahrmanöver ist ausdrücklich der Mensch am Steuer, dennoch verlassen sich immer wieder Tesla-Fahrer auf die Autonomie-Fähigkeit ihres Autopiloten und verursachen schwere Unfälle.

Dieses Risiko will die europäische Automobilindustrie nicht eingehen. Die Fahrzeughersteller und ihre Zulieferer sehen fast einhellig eine Kombination von Kamera-, Radar- und Lidar-Sensorik als den technischen Mindeststandard für das autonome Fahren an. Lidar steht für Light detection and ranging, ist eine Laserlicht-basierte Technik zur optischen Abstands- und Geschwindigkeitsmessung und ergänzt die Radar- und Kamerasensorik.

Hohe Entwicklungskosten bremsen die Euphorie

Die hohen Erwartungen, mit denen die Industrie in die Entwicklung autonomer Fahrzeuge eingestiegen ist, sind der Zurückhaltung gewichen. Bosch als führender Systemanbieter ist beispielswiese jüngst aus der Lidar-Entwicklung ausgestiegen. Der Autozulieferer ist zwar weiterhin überzeugt, dass die Technik für Autonomie-Levels höher als 3 unverzichtbar ist. Doch offenbar sind die internen Entwicklungskosten zu hoch und marktfähige Produkte, die diese Kosten decken, zeitlich noch zu weit entfernt.

In Europa scheuen nicht nur die Unternehmen das Risiko, auch die Behörden. Die zugelassenen automatisierten Fahrfunktionen sind noch sehr überschaubar. Einige Autohersteller bieten autonome Parkassistenten an, von denen sich einige sogar über den Fahrzeugschlüssel oder eine Smartphone-App fernsteuern lassen. Wobei „fern“ relativ ist: Aus Sicherheitsgründen müssen sich Fahrer oder Fahrerin bei diesen Manövern in unmittelbarer Nähe des Autos befinden.

Noch in weiter Ferne, vielleicht sogar unerreichbar: das komplett selbstfah-rende Auto ohne Lenkrad und Bedieninstrumente. Bild: Adobe Stock/Gorodenkoff

Als weltweit erste Automarken statten Mercedes mit dem Drive Pilot und BMW mit dem Personal Pilot ihre Top-Limousinen seit Mitte 2023 mit Assistenzsystemen auf SAE-Level 3 aus. Sie erlauben, in bestimmten Fahrsituationen das Steuern des Wagens komplett an die Technik zu übergeben. Der Mensch am Steuer kann sich derweil mit seinem Handy beschäftigen oder einen Film anschauen, bis das Fahrzeug ihn auffordert, wieder das Kommando zu übernehmen. Klingt nach einer netten Abwechslung auf endlos langen Autobahnfahrten, hat aber zwei Haken: Die Systeme sind in Deutschland bis maximal 60 km/h zugelassen, können auf Autobahnen also höchstens Staus oder zähflüssigen Verkehr etwas kurzweiliger machen. Der zweite Haken verbirgt sich in der Aufpreisliste, die einen höheren vierstelligen Betrag aufruft.

Fortschritte im Schneckentempo

Kleine Fortschritte zu hohen Preisen: Das beschreibt in wenigen Worten, wieso das automatisierte Fahren nur im Schneckentempo vorankommt. Schlagzeilen wie die von Cruise und Waymo mit ihren Level-4-Robotaxis möchte die europäische Autoindustrie gewiss nicht über sich lesen, und vom Level 5, von Fahrzeugen ohne Lenkrad und Pedale, spricht momentan kein seriöser Hersteller. Auch wenn das einmal das große Entwicklungsziel war.

Titelbild: AdobeStock/bht2000
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