Im schicken Oldtimer durch Havanna cruisen kann jeder. Wer dagegen aufs Fahrrad steigt, erlebt Kuba fast wie die Einheimischen – die sind nämlich mit allem unterwegs, was irgendwie rollt.
Alles beginnt im Nordosten der Insel. Wir sind auf dem Weg nach Matanzas, wo wir die ersten wagenradgroßen Schlaglöcher umschiffen, werden von zu Bussen umgebauten Lkws sowjetischer und bonbonfarbenen Oldtimern amerikanischer Bauart überholt. Dafür lassen wir Fahrzeuge mit einer PS – Pferdefuhrwerke und Kutschen aller Art – locker hinter uns. Im Örtchen Armona die erste Mittagsrast. Der Turm der alten Zuckermühle ragt einsam in den karibisch blauen Himmel. Die Dorfjugend spielt Baseball, den Sport des Klassenfeinds und winkt uns aufgeregt zu. Dann erscheint der „Dorf-King“, einen blauen Ghettoblaster in der rechten Hand. Musik dringt herüber – „Chan Chan“ und „Hasta siempre comandante“. Der Soundtrack Kubas.
Auf dem Weg nach Trinidad
Die nächsten drei Tage haben es in sich. Etappenlängen von 100 bis 125 Kilometern. Wir durchqueren die Insel in der Breite, gelangen so von der Nord- an die Südküste. Plötzlich wird es unbefestigt. Steine, Löcher, Risse, Unebenheiten schütteln uns ordentlich durch. Außerdem ist Rush Hour. Wir schlängeln uns vorbei an zwei Rinder-Herden und ihren Gauchos hoch zu Ross, überholen klapprige Gespanne jeglicher Couleur. Wir sind auf dem Weg nach Trinidad.
Die Stadt ist Kolonialperle und seit 1988 Unesco-Erbe. Es geht stetig auf und ab. Die Waden zwicken, aber das Auge saugt sich an einem grünen Paradies fest, den bewaldeten Bergen der Sierra del Escambray. Ein Obststand am Straßenrand liefert Energie. Wir kosten Kokosnuss, Guave, Papaya und etliches, was wir noch nie gesehen haben.
Der Obsthändler lächelt uns zahnlos an. Dann endlich Trinidad. Ein Tag Ruhe und Muße, die Stadt zu erkunden, die die goldene Zeit des Zuckerbooms prachtvoller in Szene setzt als alle anderen. Seit den Reformen Raul Castros gehen die findigen Kubaner hier ihre ersten Schritte Richtung Marktwirtschaft. Bars, private Restaurants und Gästezimmer sind entstanden, kleine Ateliers. In der Galeria Alejandro Humboldt stellt der Kubaner William Mass seine Bilder aus, die aus Kaffeepigmenten, Erde und Tabakessenzen entstehen. Im Café Fortuna hängt die Decke voller Geldscheine, und auf dem Klosterturm des Convento San Francisco de Asis begegnet man der freundlichen Margalis, die gefühlt in jeder Sprache sagen kann: „Bitte nicht die Glocke läuten!“ Nein, machen wir nicht. Wir genießen nur still den Blick über die Stadt und die Berge und das Tal der Zuckermühlen. Postkartenperfekt.
Zigarren
Ortswechsel. Ein Transfer bringt uns in den Westen der Insel, in die Provinz Pinar del Rio. Kein Zucker mehr – hier beginnt das kubanische Tabakimperium. Die Erde unter unseren Reifen ist plötzlich rotbraun, das Klima feuchtheiß. So mag es die Tabakpflanze. Und Benito Camejo Nodarse mag Zigarren. Drei bis vier raucht der Tabakfarmer, der mit seinem schwarzen Schnauzbart und dem breitkrempigen Hut wie ein Bilderbuch-Kubaner aussieht, pro Tag. Relativiert das aber mit verschmitztem Grinsen: „Ich rauche ja keine Zigarre zu Ende. Das letzte Drittel lässt man in Würde im Aschenbecher sterben.“ Die Farm, die er bereits in fünfter Generation betreibt, liegt in Viñales, dem Tor zum gleichnamigen Nationalpark. Elefantenbuckel nennen die Einheimischen die markanten Kalksteinfelsen, die hier aufragen.
In Sicht
Beim Radeln begleitet uns ein Straßenhund – ich taufe ihn insgeheim Eddy Merckx – hinaus bis zur Cueva del Indio, einer der zahlreichen Höhlen der Gegend. Dort dreht Eddy ab und überlässt uns unserem Schicksal. Und das heißt: strampeln. Bis Soroa im Biosphärenreservat der Sierra del Rosario sind 1200 Höhenmeter zu bewältigen. Schön und furchterregend zugleich. Gut, dass wir in San Diego de los Baños einen Kaffeestopp einlegen. Mabel, Taufpatin unseres Mechanikers Ariel, empfängt uns mit breitem Lächeln.
In winzigen Tässchen kommt der Kaffee daher. Geröstete Bohnen gemischt mit grünen und dazu: ganz viel Zucker. Sonst ist es nicht echt kubanisch. Nach 120 Kilometern an diesem Tag: Schluss, aus, Ende. Jetzt kommt nur noch Havanna. Und zwar zu Fuß. Sieben Kilometer Malecon, die berühmte Uferpromenade. Gischt spritzt. Pinkfarbene Chevrolets und türkise Buicks. Der Putz an den Fassaden bröckelt. Havanna ist wie eine schöne Frau, die die Zeichen des Alterns nicht mehr leugnen kann: überall Falten, Pigmentflecken und Krähenfüße. Macht nichts. Viva Cuba!