Airbags im Auto platzen auf.

Airbag:
Rettung mit Knalleffekt

Trotz aller Assistenzsysteme bieten die Klassiker Airbag und ­Dreipunktgurt den besten Schutz. Das wird auch das ­automatisierte Fahren nicht ändern.

Die meisten Autofahrer waren wohl noch nie in der Situation, einen Airbag zu benötigen. Aber falls es mal richtig ernst werden sollte, will keiner auf ihn verzichten. Er ist wie eine gute Unfall- oder Berufsunfähigkeitsversicherung: Man hofft, sie eigentlich nicht zu brauchen, aber sie beruhigt.

Seitenairbag in einem Auto auf der Fahrerseite
Maximaler Vollschutz für alle Mitfahrenden. Bild: Mercedes

Gnadenlos effektiv

Während bei Assistenzsystemen der elektronische Fortschritt ­wahrnehmbar ist, liegt der Airbag gut verkleidet im ­Fahrzeuginneren. Ein passives System, das eher kon­servativ als innovativ ­erscheint – vor allem aber gnadenlos effektiv ist. In der Geschichte der Unfall­statistik wurden seit ­Einführung des Airbags hierzulande nie ­weniger Unfalltote gemessen. Daten des Statistischen Bundesamts zufolge kamen 1981, beim Start des Airbags in Deutschland, noch 6.915 Menschen in einem Pkw ums Leben. 2022 betrug diese Zahl 1.192 Menschen. Bemerkenswert, wenn berücksichtigt wird, dass sich der Fahrzeugbestand seitdem verdoppelt hat.

Aufbau eines Airbags
Kompaktes Design: Aufbau eines Airbags. Bild: Autoliv

Das gilt ebenso für den Airbag selbst: Der sitzt längst nicht mehr nur hinter dem Lenkrad und Arma­turenbrett. Eine ganze Armada bevölkert inzwischen den Fahrgastraum. Abhängig vom jeweiligen Fahrzeugtyp und den landestypischen Sicherheitsvorschriften können sich heute über zehn Airbags in einem Auto befinden. Neben den bekannten Front-Airbags gehören Seiten-Airbags für Kopf und Brustkorb am äußeren Ende des Sitzes zum Standard. Weit verbreitet sind auch Knie-Airbags oder im Dach befindliche Vorhang-Airbags, die besonders bei Überschlägen wirksam sind. In den meisten Autos befinden sich heute außerdem Center-Airbags, um zu verhindern, dass die Köpfe der Frontinsassen gegeneinanderprallen. Selbst nicht im Auto befindliche Personen wie Fußgänger oder Fahrradfahrer werden bei einer Kollision durch äußere Airbags geschützt.

Knalliger Lebensretter

Das Prinzip des Airbags ist im Wesentlichen bis heute unverändert geblieben: Sensoren und das Steuergerät erfassen den Unfall und übermitteln elektrische Signale an den Gasgenerator. Der zündet eine Treibladung – eine kontrollierte Explosion –, das entstandene Gasgemisch knallt blitzartig in die Textilhülle, dämpft den Aufprall des Insassen und entweicht wieder durch Öffnungen. Ein Einklemmen oder Ersticken durch den aufgeblasenen Airbag ist damit ausgeschlossen. Dieser gesamte Prozess, vom ersten Signal bis zum entfalteten Luftkissen, dauert nur 10 bis 50 Millisekunden. Zum Vergleich: Ein Unfall dauert durchschnittlich 250 Millisekunden, ein Lidschlag etwa 100 Millisekunden.

Crashtest-Dummie
Crashtest-Dummies: hart im Nehmen. Bild: ZF

Seine volle Schutzwirkung entfaltet der Airbag aber erst richtig in der Kombination mit dem Dreipunktgurt. Ebenso wie beim Airbag sorgt auch hier kontrollierte Pyrotechnik dafür, dass der Gurt anzieht, den Insassen fester in den Sitz drückt und damit die nach vorn schnellende Bewegung des Oberkörpers abgedämpft wird. Diese Kombi verhindert 51 Prozent aller tödlichen Autounfälle. Der Airbag allein schafft das nicht, ohne Gurt liegt seine Quote bei rund 15 Prozent. Deshalb gibt es in den meisten Ländern eine Anschnallpflicht.

Mercedes Crashtest früher
1980/81 ging es bei Mercedes los. Bild: Mercedes

Daimler treibt Entwicklung voran

Eigentlich krass: Da sitzt explosive Pyrotechnik direkt im Auto drin, vierstellige Hitzegrade bei ihrer Zündung – und trotzdem ist es gut, wenn sie losgeht, denn sie bewahrt einen mit Sicherheit vor Schlimmerem. Dahinter steht eine jahrzehntelange Forschung an der maßgeblich eine Handvoll deutscher Unternehmen beteiligt sind: Federführend Daimler, dazu noch Bosch und Bayern Chemie (inzwischen ZF). So wurde beispielsweise der erste Gasgenerator entwickelt (ZF), um nach der Zündung reinen Stickstoff zu erzeugen sowie das Steuergerät, das die Unfallart und Unfallschwere situationsgerecht erfasst (Bosch).
Die ersten Versuche gehen bis in die 1950er zurück, als der Münchner Ingenieur Walter Linderer erstmalig ein aufblasbares Luftkissen zum Schutz von Fahrzeuginsassen als Patent anmeldete. Doch das Modell mit Druckluft und Feder scheiterte, da der Aufprall nicht schnell genug erkannt wurde und der Airbag zu langsam aufblies. Der US-Ameri­kaner Allen Breed setzte ein paar Jahre später ­erstmals grundlegende Maßstäbe: Er nutzte verstärkt Sensorik und als Treibmittel Natriumacid, das in der Raketenforschung als Sprengstoff verwendet wird. Daimler forschte zeitgleich auf derselben Grundlage und meldete 1971 den Airbag zur Serientauglichkeit an. Bis das erste deutsche Serienauto mit Airbag und Dreipunktgurt an den Start ging, brauchte es allerdings noch zehn Jahre.
In seinen Anfangstagen gab es den Airbag nur als exklusive Sonderausstattung. Der Aufpreis bei der ­S-Klasse und den SEC-Coupés ­betrug damals rund 1.600 D-Mark bei einem Neupreis von 70.715 ­D-Mark. Das Feature Airbag ist längst serienmäßig, bei allen Fahrzeugtypen, obwohl der Airbag bis heute in Deutschland nicht gesetzlich vorgeschrieben ist. Auch zu einem Austausch besteht keine Pflicht. Die derzeit verbauten Airbags sind auf die Lebenszeit des Autos ausgelegt.

Bildfolge eines platzenden Airbags
Schutz in Millisekunden: Der Airbag hat die Sicherheit der Insassen deutlich verbessert. Bild: Mercedes

Fit für das autonome ­Zeitalter

Was den Airbag so langlebig wie ­effektiv macht, ist seine Anpassungsfähigkeit. Und das buch­stäblich: Das heutige Airbagsystem ist adaptiv, kann sich also dem Insassen anpassen. Das heißt, der Airbag kann abhängig von der Schwere des ­Unfalls, der Position und des Gewichts der Insassen eine unterschiedliche Größe, Position oder Härte haben. Die Funktionsweise des Airbags wurde nicht grund­legend verändert, aber immer weiter verfeinert. Die Systeme sind immer leichter und kleiner ­geworden, andere Treibmittel werden eingesetzt, die eine noch präzisere Gasentwicklung ermöglichen. Der Airbagproduzent Autoliv hat nach eigenen Angaben Gasgeneratoren entwickelt, die Wasserdampf erzeugen. Auch die Nachhaltigkeit spielt eine größere Rolle. So arbeitet die japanische Chemiefirma Toray daran, die vorhandenen Materialien für neue Airbags zu recyclen.

Gurtstraffer Aufbau
Strafft vor einem unvermeidbaren Crash den Gurt. Bild: ZF

Dass der Airbag irgendwann überflüssig wird, weil Assistenz- und Frühwarnsysteme zunehmen und die Automatisierung der Fahrzeuge voranschreitet – zum Beispiel Car-to-x-Kommunikation, bei der sich die Autos gegenseitig warnen können –, ist unwahrscheinlich. Bis ausschließlich autonom fahrende Autos unsere Welt dominieren, wird es noch einige Jahre Mischverkehr geben. Unerwartete Manöver, auch durch Ereignisse wie Blitzeis, ­können deshalb nicht ausgeschlossen ­werden. Außerdem werden ­Personen in autonom fahrenden Autos andere Positionen einnehmen: liegend, vom Lenkrad entfernt, im gedrehten Sitz. Dafür müssen erst weitere Schutzmaßnahmen entwickelt werden. Die Geschichte des Klassikers ist noch nicht zu Ende.

Volvo mit Fußgängerairbag
Der Fußgänger-Airbag legt sich in 50 Millisekunden auf die Windschutzscheibe, um einen Fußgängeraufprall abzulindern. Bild: Volvo
Titelbild: AdobeStock/B Toy Anucha
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