Crashtest: Eva fährt für
Frauen gegen die Wand

Frauen sind beim Autofahren gefährdeter als Männer. Das liegt unter anderem daran, dass Autohersteller bei ihren Crashtests bisher nur männliche Dummys einsetzen. Das erste weibliche Modell – Eva – soll das nun ändern.

Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern ist ein großes Thema. Wo es aber um Leben und Tod geht – nämlich bei der Sicherheit von Autos – ist es damit noch nicht so weit her. Autofahrerinnen haben bei einem Unfall ein höheres Risko als Männer, schwer verletzt zu werden oder gar zu sterben. Die schwedische Ingenieurin und Wissenschaftlerin Astrid Linder hat deshalb den ersten weiblichen Crashtest-Dummy entwickelt. Wir haben die Erfinderin von Eva interviewt.

Du hast den ersten weiblichen Dummy entwickelt. Brauchte es für diese Idee eine Frau?

Anscheinend schon. Aber eigentlich hätte jeder auf diese Idee kommen können, der sich mit den Verletzungsstatistiken befasst und darüber nachdenkt, wie es um die Sicherheit von Fahrzeuginsassen bestellt ist. Was es vor allem braucht, um ein Modell einer durchschnittlichen Frau für Crashtests herzustellen, ist harte Arbeit und Entschlossenheit.

Astrid Linder hat den ersten weiblichen Crashtest-Dummy entwickelt. Bild: Hejdlösa bilder/VTI
Astrid Linder hat den ersten weiblichen Crashtest-Dummy entwickelt. Bild: Hejdlösa bilder/VTI

Wie kam die Idee für Eva zu Stande?

Seit meiner Promotion 1996 beschäftige ich mich mit der Verbesserung der Sicherheit von Insassen und Verkehrsteilnehmern. Damals war ich an einem Projekt beteiligt, in dem der erste Crashtest-Dummy für Heckaufpralltests mit geringem Schweregrad entwickelt wurde, um Schleudertraumata zu behandeln. Dieser Dummy, der BioRID, basierte auf den Maßen eines durchschnittlichen Mannes, da dies die Crashtest-Dummys waren, zu denen wir Zugang hatten und mit denen wir den BioRID vergleichen konnten. Als Doktorandin führte ich in den späten 1990er-Jahren eine umfassende Literaturrecherche durch und stellte fest, dass Frauen ein höheres Risiko für Weichteilverletzungen im Nackenbereich – das so genannte Schleudertrauma – haben als Männer. Für mich bestand der nächste Schritt nach der Entwicklung von BioRID darin, ein Dummy-Modell zu entwickeln, das den Teil der Bevölkerung mit dem höchsten Verletzungsrisiko repräsentiert, nämlich Frauen.

In die Entwicklung von Eva hat Astrid Linder viel Arbeit und Herzblut gesteckt. Linder/VTI

Warum ist ein weiblicher Dummy überhaupt nötig? Was unterscheidet Eva vom bisherigen männlichen Modell?

Hätten Frauen und Männer bei einem Unfall ein ähnliches Verletzungsrisiko, wären zusätzliche Modelle der erwachsenen Bevölkerung für die Bewertung der Insassensicherheit nicht erforderlich. Dies ist jedoch nicht der Fall. Bei der Unfallsicherheit ist beim Modell eines Menschen wichtig, wie es verwendet wird. Aufprallschwere und Aufprallrichtung sind da zum Beispiel wichtige Kriterien. Für die Bewertung von Autositzen haben wir Modelle sowohl einer durchschnittlichen Frau als auch eines durchschnittlichen Mannes entwickelt, um bei einem Heckaufprall mit geringer Schwere insbesondere Weichteilverletzungen im Nackenbereich zu beurteilen. In diesem Fall ist die Form des Rumpfes wichtig, wegen der Interaktion mit der Rückenlehne. Auch die Steifigkeit des Nackens ist von großer Bedeutung. Eine Frau hat im Durchschnitt 70 Prozent der Kraft und Muskelmasse eines Mannes. Hinzu kommen die Größe und das Gewicht sowie die Gewichtsverteilung der verschiedenen Körperteile. Außerdem weist die Kontur des Beckens einen charakteristischen Unterschied zwischen Frauen und Männern auf, den wir in die Modelle einbezogen haben.

Bisher sind weibliche Dummys nicht als Testmodell vorgeschrieben. Wird sich das in Zukunft ändern?

Nur in einer exklusiven Gesellschaft kann ein Teil der Bevölkerung ausgeschlossen werden. Dies ist jedoch unvereinbar in einer inklusiven Gesellschaft.

Bild: Annika Johansson/VTI

Fühlst du dich in Autos, welche bislang nur mit männlichen Dummys getestet wurden, eigentlich sicher?

Die Dummys, die wir bisher verwendet haben, haben uns bei der Bewertung der Sicherheit schon sehr weit gebracht. Wir könnten und sollten jedoch noch besser werden, wenn es darum geht, bei neuen Fahrzeugen die Innovationen zu ermitteln, die die beste Sicherheit für die gesamte Bevölkerung bieten.

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Über Eva

Eva ist 1,62 Meter groß und wiegt 62 Kilogramm. Ihr Körper ist völlig anders geformt als der eines männlichen Dummys und verfügt über einen komplett anderen Schwerpunkt. So sind beispielsweise Hüften und Becken unterschiedlich ausgeprägt. Hinzu kommt ein anderer Torso- und Muskelaufbau.

Bild: Phillip Sorri/VTI

Über Astrid

Die Erfinderin von Eva, Astrid Linder, ist Forschungsdirektorin für Verkehrssicherheit am Nationalen Straßen- und Transportforschungsinstitut in Schweden. Die promovierte Ingenieurin und Wissenschaftlerin hat zudem eine außerordentliche Professur an der technischen Universität Cahlmers in Schweden.

Sicherheitskluft zwischen den Geschlechtern

Laut der US-Verkehrssicherheitsbehörde NHTSA lag die die Wahrscheinlichkeit für Frauen, bei einem Verkehrsunfall zu sterben, in Fahrzeugen der Modelljahre 1960 bis 2009 um 18,3 Prozent höher als bei Männern. Für Autos der Modelljahre 2010 bis 2020 sank der Wert auf 6,3 Prozent. Und für die Modelljahre 2015 bis 2020 beziffert die NHTSA den Unterschied nur noch auf 2,9 Prozent. Der „Gender Safety Gap“ – also die Sicherheitslücke zwischen männlichen und weiblichen Verkehrsteilnehmern – wird kleiner. Sie existiert aber weiterhin. Mit Hilfe des weiblichen Dummys Eva soll sie ganz geschlossen werden.

Bild: Annika Johansson/VTI
Titelbild: AdobeStock/3D motion
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