Wer seinen Neuwagen in der freien Werkstatt inspizieren lässt, setzt seinen Garantieanspruch aufs Spiel? Nonsens. Jeder Kunde hat das Recht, selbst zu entscheiden, in welche Werkstatt er geht.
Er heißt Clément, und er schneidet Haare wie ein Weltmeister. Nach Jahren des Suchens haben Sie endlich einen Friseur gefunden, der Ihnen die Haare genauso schneidet, wie Sie es möchten – nicht zu kurz, nicht zu lang, vielleicht noch ein wenig Farbe rein, perfekt. Jahrelang vertrauen Sie einzig diesem einen Haarkünstler. Clément kennt nicht nur Ihre Haare, sondern auch Ihre Hobbys und das nächste Reiseziel, und beim letzten Weihnachtsmarkt haben Sie sogar einen Glühwein mit ihm getrunken. Nach einiger Zeit haben Sie Lust auf ein wenig Veränderung – es ist Zeit für ein neues Shampoo. Vielleicht eines mit Macadamia-Papaya-Kokos-Geruch. Sie kaufen eines der Marke Tolle-Tolle. Ihre Haare duften wunderbar und Sie denken: Jetzt aber schnell zu Clément, damit auch der Schnitt endlich zum neuen Lebensgefühl passt. Aber was lesen Sie da auf der Shampooverpackung? „Benutzer dieses Shampoos dürfen ihre Haare lediglich bei einem autorisierten Tolle-Tolle-Friseur schneiden lassen.“
Keine Werkstattbindung
Vielleicht denken Sie jetzt: Alberne Geschichte, so etwas gibt es doch gar nicht. Beim Shampoo-Haarschnitt-Thema mag das stimmen. In der Kfz-Werkstattwelt werden Kunden hingegen genau solche Märchen als Tatsachen erzählt. „Immer wieder hört man, dass man als Kunde mit dem Neuwagen zur Wartung in die Vertragswerkstatt muss, weil man sonst seine Garantie oder Sachmängelhaftung verliert. Da ist allerdings überhaupt nichts dran“, sagt Prof. Dr. Kai Ullrick Hopp, Rechtsanwalt bei der Kanzlei Wandscher & Partner in Oldenburg. „Der Fahrzeughersteller darf mir nicht vorschreiben, dass ich meinen Wagen in seinem Werkstattnetz zu warten habe.
Jeder Kunde hat das Recht, Inspektionen dort machen zu lassen, wo er will – immerhin zahlt er die Wartung ja aus der eigenen Tasche.“ Fakt ist: Die Erfüllung von garantierten Leistungen darf zwar an bestimmte Vorgaben gekoppelt sein, nicht aber an eine Werkstattbindung. Wichtig ist, dass das Auto entsprechend den Vorgaben des Herstellers gewartet wird. Der Kunde sollte also bei der Werkstatt seines Vertrauens nachfragen, ob sie nach Herstellervorgaben arbeitet.
Panik! Panik!
Früher war es normal, dass Hersteller ihre Werkstattzwänge offen kommuniziert und teilweise sogar in die Servicehefte der Fahrzeuge gedruckt haben. Mittlerweile ist ihnen das gesetzlich verboten worden. Seitdem wird subtiler Panik gemacht und Unsicherheit verbreitet. Gerade in Vertragswerkstätten heißt es auch heute noch oft: „Wenn Sie Ihre Garantieansprüche nicht verlieren wollen, sollten Sie schon lieber zu uns kommen.“
Was geschieht, wenn der Kunde das nicht tut? Ein Beispiel: Martin und Klara kaufen beide einen Neuwagen mit sieben Jahren Durchrostungs-Garantie. Martin geht regelmäßig in die Vertragswerkstatt und lässt sein Auto dort inspizieren. Auch Klara bringt ihren Wagen planmäßig zur Inspektion – allerdings in die freie Werkstatt, die das Auto ebenfalls nach allen Vorgaben des Herstellers wartet. Schöner Nebeneffekt für Klara: In der freien Werkstatt liegen die Preise meist deutlich unter denen der Vertragswerkstatt. Nach drei Jahren fangen beide Autos an zu rosten. In welchem Fall zieht die Herstellergarantie?
Wer bei Mängeln haftet
Außer der Garantie gibt es auch noch die Sachmängelhaftung, die oft auch Gewährleistung genannt wird. Sie ist gesetzlich geregelt – im Gegensatz zur Herstellergarantie, die nur vertraglich geregelt ist. Kauft eine Privatperson einen Neuwagen beim Händler, gilt die Sachmängelhaftung normalerweise zwei Jahre. Herstellervorgaben darf es bei der Sachmängelhaftung nicht geben – also gibt es auch hier keine Werkstattbindung.
Wichtig wird die Sachmängelhaftung, wenn der Käufer mangelhafte Ware gekauft hat – selbst dann, wenn er das erst viel später merkt. Hat der Käufer sich beispielsweise im Winter einen Wagen gekauft und merkt im Sommer erst, dass die Klimaanlage nicht funktioniert, gilt die Sachmängelhaftung dennoch. „Der Käufer sollte dann auf Nacherfüllung pochen. Wird der Schaden dabei nicht behoben, kann der Kunde vom Vertrag zurücktreten oder auf Kaufpreisminderung bestehen“, sagt Hopp. Und mit dem so zurückerstatteten Geld könnte man sich ja etwas Schönes gönnen – zum Beispiel einen Friseurbesuch bei Clément.