Benzin oder Strom, Einzylinder- oder Elektromotor, Gaststätte oder Haltestelle, tuktuktuk oder sssss. Was den ersten Motor-Omnibus der Welt vor 125 Jahren von unserer Mobilität von heute und morgen unterscheidet – und was sie verbindet. Auf geht’s auf eine Zeitreise.
Wir schreiben das Jahr 1895. Es ist die Zeit des deutschen Kaiserreichs, gängiges Fortbewegungsmittel sind Pferdekutschen und die Eisenbahn. Gerade einmal acht Jahre ist es her, dass Bertha Benz die erste Fernfahrt mit einem Automobil bewerkstelligte. Dass man sich auch in motorisierten Linienbussen von A nach B bewegen kann, hatte kaum jemand auf dem Plan. Die Netphener Omnibus-Gesellschaft hingegen schon und bestellte den ersten Motor-Omnibus bei Benz & Cie in Mannheim. Heutzutage erinnert dieser Motor-Omnibus vielmehr an eine Kutsche als an einen Bus, wie wir ihn kennen. Er war 3,50 Meter lang, zwei Meter breit, mit verglasten Fenstern und immerhin schon einer Heizung. Acht Fahrgäste fanden darin Platz.
Fünf PS und Muskelkraft der Fahrgäste
Am 18. März 1895 war es soweit: Der erste Linienbus der Welt nahm seinen Betrieb auf. Für die meist gut betuchten Fahrgäste bedeutete das allerdings nicht einfach entspannt im Bus sitzen, Musik hören und sich am Smartphone die Zeit vertreiben. Und zwar nicht nur, weil es damals noch keine Smartphones gab. War die Steigung zu steil, steckte ein Reifen in einem Schlagloch oder war es nass und die Reifen hatten zu wenig Grip, waren die Muskeln der Fahrgäste gefragt. Mit vereinter Kraft schoben sie den fünf PS starken Omnibus an, damit die Fahrt weitergehen konnte. Wenn nicht gerade eine Pferdekutsche in der Nähe war. Denn damit die Pferde nicht scheu wurden, musste der Busfahrer den Motor abstellen und warten, bis die Kutsche vorbei war.
Apotheker als Treibstofflieferanten
Entsprechend lange dauerte die Reise: Für die knapp 15 Kilometer lange Strecke von Siegen über Weidenau und Netphen nach Deuz im Siegerland östlich von Köln benötigte der Omnibus rund eine Stunde und 20 Minuten. Zum Vergleich: Heute ist die Strecke in rund 30 Minuten zu bewältigen. Zweimal am Tag verkehrte der Bus zwischen den beiden Städten. Öfter war es nicht möglich, schließlich war Benzin ein kostbares Gut und Tankstellen gab es noch nicht. Deshalb musste der Treibstoff von Apotheken bezogen werden, die aber selbst schnell in Lieferschwierigkeiten kamen.
– Die Feierlichkeiten zum 125-jährigen Jubiläum des Motor-Omnibusses in Siegen und Netphen sind wegen der Corona-Pandemie bis auf weiteres verschoben. Wer sich aber einen Eindruck vom 100-jährigen Jubiläum verschaffen möchte, schaut am besten hier rein: –
Der (verzögerte) Durchbruch des Motor-Omnibusses
Der Plan, mit dem Linienbus eine echte Alternative zur Kutsche und Eisenbahn anzubieten, ging allerdings nicht auf. Der Betrieb wurde nur neun Monate nach dem Start eingestellt. Der Durchbruch des motorisierten Linienbusses ließ noch bis in die 1920er-Jahre auf sich warten. Das Ende des Pferde-Omnibusses und technische Innovationen begünstigten diese Entwicklung. Heute feiern wir das 125-jährige Jubiläum des Motor-Omnibusses und Linienbusse sind gar nicht mehr wegzudenken. In Deutschland nutzten 2019 5,3 Milliarden Fahrgäste Busse des öffentlichen Nahverkehrs. Und die Zukunft des Linienbusses? Die ist autonom und elektrisch.
Am Anfang steht das Experiment
In unserer Gegenwart verbrennen die meisten Linienbusse allerdings noch Diesel. Vereinzelt sind E-Busse und Brennstoffzellenbusse auf den Straßen zu sehen. Aber egal wie der Bus angetrieben wird, es sitzt immer ein Fahrer am Steuer. Auf einigen Teststrecken für autonomes Fahren ist das allerdings nicht mehr der Fall. Dort befördern klein konzipierte Busse mit niedriger Geschwindigkeit eine geringe Zahl an Fahrgästen auf kurzen, fest definierten Strecken. Das könnte einem jetzt bekannt vorkommen, schließlich begann so auch vor 125 Jahren die Geschichte des Motor-Omnibusses.
NAF-Bus fahren auf Sylt
Der NAF-Bus ist ein solch zukunftsweisendes Projekt. NAF steht für nachfragegesteuerter autonom fahrender Bus. Er fährt unter anderem im Örtchen Keitum auf Sylt im öffentlichen Verkehr seine 2,7 Kilometer lange einprogrammierte Runde, maximal 18 km/h bringt er dabei auf den Tacho. Er kennt die Verkehrsregeln und orientiert sich mithilfe von Distanzmessungen, GPS und Ultraschallsensoren. Zwölf Fahrgäste finden darin Platz. Ein „Operator“, in unserem gegenwärtigen Alltag der Busfahrer, fährt immer mit. Er greift in das autonome Fahrgeschehen ein, sofern sich ein Hindernis auf der Fahrbahn befindet oder ein anderes Ereignis menschliches Handeln erfordert.
Busfahren on demand
Und die Zukunft des Busfahrens? Die ist on demand – wie Netflix und Co. Keine festen Routen, keine festen Fahrpläne. Busfahren wird nachfragegesteuert sein. Per Smartphone-App oder anderer Technologien, von denen der Otto Normalverbraucher heute noch nichts weiß, werden wir ein Shuttle zu unserem Standort rufen können, das uns abholt und zum Ziel befördert. Und zwar auf individuellen Routen und ohne Fahrer – völlig autonom. Das kann sich heute wohl kaum jemand vorstellen. Aber die Fahrgäste des ersten Motor-Omnibusses vor 125 Jahren hätten sich wohl auch nicht gedacht, dass der Linienbus einmal massentauglich werden würde.