Eselkopf Fotomontage auf wütendem Autofahrer

Staufaktor
Mensch

Stau ist der Feind aller Autofahrer – und manchmal Folge ihres Verhaltens im Straßenverkehr. Wie unsere Fahrweise zum Verkehrsstillstand führen kann, erfahren wir im Gespräch mit Stau­forscher Prof. Dr. Michael Schreckenberg.

Der Professor für Physik von Transport und Verkehr an der Universität Duisburg-Essen unterscheidet zwischen fünf Hauptursachen für einen Verkehrsstillstand. Prozentual bildet die Überlastung der Verkehrsinfrastruktur mit rund 60 Prozent den höchsten Anteil, während Baustellen (25 Prozent) und Unfälle (15 Prozent) als zweit- und dritthäufigste Ursache gelten. Auch widrige Witterungsbedingungen können einen Stau auslösen, allerdings sei dieser Anteil mit etwa zwei Prozent eher geringfügig. Im Vergleich zum Vorjahr sind die Staustunden im Jahre 2023 von 333.000 auf 427.000 angewachsen. Grund für die steigende Tendenz, so Schreckenberg, ist allem voran die Rückkehr zum Büroalltag vor Ort.

Der Phantomstau

Beim sogenannten Phantomstau, so Dr. Schreckenberg, handelt es sich um eine oftmals vermeidbare Folge von Verkehrsverdichtung: „Diese entsteht nicht selten durch die egoistische Fahrweise der Verkehrsteilnehmer und lässt sich in den meisten Fällen durch ein angepasstes Verhalten vermeiden.“ So neigen frustrierte Autofahrer zu Affektentscheidungen – meist dahingehend, dass sie den Sicherheitsabstand nicht beachten. Verringert das vorausfahrende Fahrzeug seine Geschwindigkeit, ist der nachfolgende Autofahrer gezwungen, übermäßig abzubremsen. Diese Bremsbewegung wirkt sich wellenartig mit einer Geschwindig­keit von zirka 15 Stundenkilometern auf die dahinterfahrende Kolonne aus, bis das erste Auto zum Stillstand kommt.

Aus den Augen, aus dem Sinn

Die Folgen ihrer Fahrweise fällt den meisten Stauverursachern gar nicht erst auf: „Die Stauwellen kriegt der Fahrende nicht mit, da er nur nach vorne denkt. Was im Rückspiegel passiert, ist ihm egal.“ Bis das stehengebliebene Fahrzeug erneut anfahren kann, vergehen kostbare Sekunden, die sich nicht selten kilometerweit anstauen. Erst wenn sich der Verkehr beruhigt hat, löst sich der Stau wieder auf.

Schluss mit den Mythen

Doch lässt sich ein Stau umfahren, wenn man bereits mittendrin
ist? Spontane Aktionen, so Schreckenberg, sind erwiesenermaßen ineffektiv – beispielsweise ein Fahrbahnwechsel oder die Abfahrt über Landstraßen. Maßnahmen dieser Art haben dennoch einen psychologischen Effekt auf den Fahrenden: „Autofahrer haben immer das Gefühl, die andere Spur sei schneller. Das geht darauf zurück, dass man sich Fahrzeuge einprägt, die einen überholen, während überholte Fahrzeuge im Rückspiegel verschwinden.“ Auch eine mutmaß­liche „Umgehung“ über Landstraßen bringe keinen Zeitgewinn – im Gegenteil. So sei die Kapazitätsgrenze auf Landstraßen oder Ortsdurchfahrten schneller erreicht als auf Autobahnen. Folglich sollte der Autofahrer im Stau unbeirrt seiner Spur folgen – so nervig das auch erscheinen mag.

Bild von Prof. Dr. Michael Schreckenberg mit Zitat "Die Stauwelle kriegt der Fahrende nicht mit, weil er nur nach vorne denkt."

Ein naheliegender Trugschluss

Wer glaubt, dass sich die meisten Staus durch eine überkorrekte
Fahrweise vermeiden lassen, belehrt Michael Schreckenberg eines Besseren. Würde sich jeder Autofahrer mustergültig an die Straßenverkehrsordnung halten, wären Staus sogar vorprogrammiert: „Wer sich an wirklich alle Verkehrsregeln hält, ist ein reines Verkehrshindernis.“ Als Beispiel führt er den Mindestabstand zu Fahrradfahrern an, der ein Überholmanöver in dicht befahreneren Innenstädten unmöglich macht. Selbstfahrende Autos, die nach solchen Parametern „handeln“, würden erheblich zur Stauentstehung beitragen. Kurzum: Es muss etwas verkehrt laufen, damit der Verkehr laufen kann.

Fruchtbare Maßnahmen

Eine langfristige Lösung für die Senkung des Verkehrsaufkommens? „Verkehr verhindern“, so die Schlussfolgerung des Stauforschers. Stau sei etwas Natürliches, schließlich besäßen Straßen nur limitierte Kapazitäten. Würden diese erreicht, stocke der Verkehr. „Es wurden Versuche unternommen, mit einem Ausbau der Kapazitäten auf den zunehmenden Verkehr zu reagieren“, fasst Dr. Schreckenberg zusammen, „doch das geht nur bis zu einem bestimmten Punkt.“ Um Menschen für Bus und Bahn zu gewinnen, bedarf es attraktiver Rahmenbedingungen – und Verlässlichkeit. Bis dahin sei eine langfristige Entlastung auf deutschen Straßen nicht zu erwarten. Dennoch zeichnet sich laut dem US-amerikanischen Unternehmen INRIX, das auf Verkehrsdatenauswertungen spezialisiert ist, eine interessante Entwicklung ab: Weil sich viele Büros hierzulande aus Kostengründen in Außenbezirken niederlassen, ist der Verkehr in deutschen Großstädten seit Jahren rückläufig.

Titelbild: Bearbeitet aus GettyImages/Liudmila Chernetska und AdobeStock/belyaaa 
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