Es ist ein Thema, das Fingerspitzengefühl verlangt: Autofahrkompetenz im Alter. Es gibt viele freiwillige Angebote, diese zu überprüfen – ein verpflichtendes Programm hingegen fehlt. Die Deutschen Verkehrswacht ist eine der wenigen Institutionen, die verpflichtende Rückmeldefahrten fordert – vor allem mit Blick auf die Sicherheit der Senioren selbst.
In Deutschland sitzen immer mehr Senioren hinter dem Steuer. Laut einer Forsa-Umfrage aus dem April 2024 besitzen 92 Prozent der Befragten in der Altersgruppe zwischen 65 bis 69 Jahren einen Pkw-Führerschein und fahren Auto, wenn auch nur gelegentlich. Bei den 75- bis 79-Jährigen beträgt dieser Anteil noch immer 80 Prozent. Seit 2015 hat sich die Zahl der Führerscheininhaber ab 75 Jahren fast verdoppelt. „Immer mehr Senioren nehmen aktiv am Verkehrsleben teil, um etwa kleine Alltagsaufgaben noch selbst zu erledigen“, erklärt Heiner Sothmann von der Deutschen Verkehrswacht. Doch gerade auf diesen kurzen Wegen passieren viele Unfälle.
Häufig Hauptverursacher
Allerdings sollte man genau hinschauen: Gemessen an den Unfallzahlen im Straßenverkehr sind Senioren ab 65 Jahren vergleichsweise unauffällig (2023: 79.101 Unfälle mit Personenschaden). Eine Auswertung des Statistischen Bundesamts aus dem Jahr 2023 belegt jedoch auch: Sind Senioren über 65 Jahre in einen Unfall verwickelt, sind sie meistens auch die Unfallverursacher (68 Prozent). Bei den ab 75-Jährigen sind drei Viertel der Unfallbeteiligten die Hauptverursacher (76 Prozent).
Häufig passieren die Unfälle beim Abbiegen, Wenden oder Rückwärtsfahren – oder wenn jemand die Vorfahrt übersieht. Der Grund liegt auf der Hand: Mit dem Alter lassen Wahrnehmung, Reaktion und Konzentration nach. Laut des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft steigt das Unfallrisiko ab 75 Jahren deutlich. Besonders oft kracht es in komplexen Situationen oder auf ungewohnten Strecken.
EU-Gesetzentwurf abgelehnt
Mit steigenden Unfallzahlen fordern immer mehr Experten Tests zur Fahrtüchtigkeit im Alter. Dennoch lehnte der damalige Bundesverkehrsminister Volker Wissing den Entwurf einer neuen EU-Verkehrsrichtlinie aus dem Jahr 2023 ab. Dieser sah vor, dass Fahrer ab 70 regelmäßig zum Arzt müssen. Auch der ADAC, die Bundesanstalt für Straßenwesen und der Deutsche Verkehrssicherheitsrat sprechen sich gegen verpflichtende Fahreignungstest aus. Sie setzen auf Präventionsprogramme und freiwillige Maßnahmen, die Fahrkompetenz erhalten und verbessern sollen.
Stärken und Schwächen aufzeigen
Verpflichtende Rückmeldefahrten mit empfehlendem Charakter alle fünf Jahre für Senioren ab 75 fordert hingegen die Deutsche Verkehrswacht. „Es gibt zwar viele freiwillige Angebote, die effektiv sind, aber nur einen Bruchteil der zu sensibilisierenden Altersgruppe erreichen“, erklärt Sothmann von der Verkehrswacht.
Trotz fehlender wissenschaftlicher Belege ist er von der Effektivität dieser Angebote überzeugt. Denn weist ein Fahrschullehrer oder ein ausgebildeter Sicherheitstrainer die Fahrer in einer konkreten Situation auf Defizite hin, würden sich diese ihres Fahrverhaltens stärker bewusst. „Und ist diese Erkenntnis erst einmal da, kann sie nur schwer wieder verdrängt werden – so möchte beispielsweise kein Großvater die eigenen Enkel zum Fußballtraining fahren, wenn er nicht von seiner Fahrkompetenz überzeugt ist.“
Es geht also darum, den Senioren die eigenen Stärken und Schwächen aufzuzeigen. Im Extremfall rät der Gutachter sogar zum freiwilligen Fahrverzicht. „Diese Empfehlung wird jedoch nur im Vertraulichen ausgesprochen“, versichert Sothmann. Konkrete Auswirkungen auf die Fahrerlaubnis hat das Ergebnis der Rückmeldefahrt dann nicht.
Neue Führerscheinrichtlinie
EU-Parlament, Kommission und Mitgliedsstaaten haben sich auf eine neue Führerscheinrichtlinie geeinigt. Unter anderem ist die Gültigkeit für Führerscheine europaweit auf 15 Jahre festgeschrieben. Bis zum 60. Lebensjahr dürfen an die Verlängerung keine Bedingungen wie beispielsweise ärztliche Tests geknüpft werden. Danach können die Mitgliedsstaaten kürzere Gültigkeiten (fünf Jahre) und verpflichtende Checks einführen.



