Wrrrooom!
Faszination Geschwindigkeit

Was macht den Kick beim Achterbahnfahren? Und was hält ein Körper aus? Mit dem Physiker und Motorsportler Dr. Karl-Friedrich Ziegahn im Europa-
Park.

Man kann sich kaum einen besseren Tempo-Erklärer vorstellen als
einen Mann, dessen Namen sich treffend auf KFZ abkürzen lässt: Karl-Friedrich Ziegahn ist Physiker und Rennfahrer. Er ist der Denker unter den Motorsportlern und weiß, wie es sich anfühlt, wenn man mit einem
Sechspunktgurt am Leib von der Strecke fliegt und gegen ein hartes Hindernis prallt. „Man spürt den Schmerz, diesen Schlag extrem. Aber man ist auch extrem erleichtert, wenn man sich schüttelt und feststellt: alles ok!“ Schon klar, es ist gesünder vernünftig zu fahren. Wirtschaftlicher auch. „Als Physiker weiß ich: Der Benzinverbrauch steigt mit der Höhe der Geschwindigkeit. Es ist besser, wenn alle 120 fahren. Mit
Tempomat und Abstandsregler. Aber: Ich möchte auch ausbrechen können.“ Kopf und Bauch, Intellekt und die Lust, das Gaspedal  durchzutreten, das geht gut zusammen. „Ich glaube, diese Faszination
steckt in jedem von uns und ist mehr oder weniger ausgeprägt. Je nach eigenem Erleben in Kindheit und Jugend suche oder meide ich diesen Reiz.“

Schnelles Fahren ist in diesem Fall: ein Riesenspaß.

Immer schön cool

Ziegahn sucht ihn und fährt gerne Tempo 250. Nicht immer, „aber wenn ich mich damit wohlfühle, dann ja“. Schnelles Fahren, sagt er, ist nicht gleich Raserei. Er spricht – ganz wichtig – nicht von Geschwindigkeitsrausch, sondern von: Rasanz. Der Rausch hat auf der Piste nichts verloren, auch nicht im übertragenen Sinne. Man bleibt cool und berauscht sich nicht. „Wenn ich glaube, ich habe bei Tempo 250 auf der Autobahn die Situation unter Kontrolle, kann das Selbstüberschätzung sein. Ich muss mir aber stets bewusst sein, was ich tue. Ich düse eben nicht auf einer zweispurigen Autobahn mit 250 Sachen an einer Lkw-Kolonne vorbei. Da klemmen immer ein paar Pkw  dazwischen, also weiß ich: einer von denen wird ausscheren.“ Reden wir übers Rasen. Ziegahn, der Physiker sagt: „Sie können beim Abendessen sitzen und mit 1.000 Stundenkilometern über den Atlantik düsen, ohne im Flugzeug davon etwas zu spüren.“ Absolute Geschwindigkeit ist uninteressant.

Tempo ist relativ. Fies sind Schikanen in rascher Folge.

Reiz der Langsamkeit

Wir sitzen vor einem Café im Europa-Park. Hinter uns kriecht die Achterbahn aufreizend langsam steilaufwärts, saust nach unten, bremst stark ab… „Negative Beschleunigung ist, wenn die Bahn mit hohem  Tempo über eine Kuppe fährt und es mich dabei aus dem Sitz lupft“, sagt Ziegahn. „Verzögerung wird in dem Fall als schlimmer empfunden als hohes Tempo.“ Früher fuhren Achterbahnen Loopings auf der  Außenbahn. Bei Außenlooping wird der Körper schwerelos. „Wie, wenn Sie im Flugzeug sitzen und die Maschine nach unten wegsackt. Das  empfinden Sie als extrem unangenehm.“ Oder es ist gerade der Kick. Achterbahn-Physik macht Spaß. Man lernt dabei mehr als in der Schule.
Wenn man in einer Katapultachterbahn sitzt und beim Start tief in den Sitz gedrückt wird, empfindet man nicht die Geschwindigkeit – sondern die Trägheit, die Schwerfälligkeit des eigenen Körpers. Die Rückenlehne  schiebt den Körper nach vorn. Die Physik misst die auf den Körper einwirkende Kraft in „g“. 1g ist nicht zu spüren. 1g ist normal. Man steht auf der Erde und merkt nicht, dass sich die Erde dreht. 1g entspricht der Erdbeschleunigung. Quizfrage: Wer hat den härteren Job, wer muss mehr „g“ aushalten: ein Astronaut? Oder ein Kampfflieger? Die Antwort kommt gleich

Wahnsinn Kunstflug

Karl-Friedrich Ziegahn wäre gerne Pilot geworden. Oder Astronaut. Als
Waisenkind hatte er aber nicht das, was man einen Kickstart ins Leben
nennen könnte. Der Traum vom Fliegen war zu teuer. Also assistierte
er als Student einem Kommilitonen. Der hatte einen Flugschein und trainierte als Kunstflieger. Ziegahn flog mit („Mir wird bei sowas nicht schlecht“), wurde zum unersetzlichen Begleiter. „Entscheidend ist die Multiplikation des G-Werts mit der Einwirkdauer. Ein Kunstflieger steckt
locker 15 oder 20g weg. Er muss diese Wahnsinnskräfte nur einen Moment lang aushalten. Etwa, wenn er eine gezeitete Rolle fliegt oder bis zum Stillstand in die Höhe schießt und über die Heckflosse zurück nach unten kippt.“

Motorsport? Aber ja!

Ein Kampfpilot fliegt einen Kurvenradius so, dass er 4 oder 5g nicht überschreitet. „Aber diese Flugphase dauert eben mehrere Sekunden. Wenn es zu lange dauert, schießt das Blut vom Gehirn in die Beine, dann wird es dir schwarz vor Augen.“ Am bequemsten hat es tatsächlich der Astronaut. Der Raketenflug vom Erdboden bis in die Schwerelosigkeit dauert zwar acht Minuten. „Aber der Astronaut wird im Liegen nach oben geschossen. In dieser Position kann ich viel ertragen.“ Und die Kräfte übersteigen 4g nicht. Damit zurück auf die Piste. Zum Motorsport. 

Ziegahn war 25 Jahre lang Rallye-Co-Pilot. Navigierte den Piloten, den Blick starr auf die Knie und den Strecken-Aufschrieb geheftet.  „Gebetbuch“ sagen sie dazu. Es ist ein persönliches Navi: In 30 Metern Rechtskurve: Radius 3. / Danach: Schotterpiste / In 40 Meter:  unübersichtliche Kuppe! Auf der Kuppe bremsen! Danach scharfe Linkskurve mit Radius zwei … Aber Ziegahn ist immer auch Wissenschaftler geblieben, hat bei der Fraunhofergesellschaft ein Labor für Umweltprüfung geleitet und beim KIT in Karlsruhe an erneuerbaren Energien und Energieeffizienz geforscht. Motorsportler nannten ihn „Mister Greenpeace“. Das war nicht freundlich gemeint. Es war die Zeit,
als die Öko-Bewegung dem Motorsport zusetzte. Auf Ziegahns Betreiben
hin haben Sportfahrerkreis und Motorsportbund vor 20 Jahren ein Umweltreglement geschaffen. „Das regelt bei jeder Veranstaltung die Umweltaspekte wie Catering, Abfall, Wasser und Abwasser. Wir haben als einziger Sportdachverband einen Umweltbeauftragten.“

Gas geben, Spaß haben. Aber mit Verstand.

Faszination Motorsport

Heute gibt es sowas wie Nachhaltigkeit auch im Motorsport. Der Rennsport ist sicherer geworden („Gigantisch, was wir da erreicht haben“), die Faszination geblieben. Ziegahn kennt Männer, die in der Umweltforschung arbeiten und am Wochenende mit ihrem Rennwagen in Spa, Zandvoort oder Hockenheim ein paar Runden drehen. „Motorsport ist so sinnlos wie Fußball oder Skifahren“, sagt Ziegahn. „Eine  Gesellschaft sollte es akzeptieren, dass es Menschen gibt, die Freude dran haben.“ An der Geschwindigkeit. An dieser Wahnsinns-Geräuschkulisse, am Vibrieren und Donnern großvolumiger Motoren. „Dieses Wummern im Magen“, sagt Karl-Friedrich Ziegahn, „da gehst du ab!“

Bilder: Sabina Paries
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