Dr. Thomas Wagner hat in seinem Berufsleben wohl schon in vielen Fahrzeugen gesessen und sich durch verschiedenste Bediensysteme getastet, geschalten oder gewischt. Für den DEKRA Verkehrssicherheitsreport 2023 „Technik und Mensch“, haben er und sein Team zahlreiche Problemfelder im Bereich der Mensch-Maschine-Schnittstelle näher beleuchtet. Ein Gespräch mit dem Verkehrspsychologen über den Fluch und Segen moderner Bedienkonzepte im Auto.
Was macht ein gutes und vor allem ein für alle funktionierendes Bedienkonzept aus?
Technische Systeme – und dazu gehört auch das Automobil – werden immer komplexer und umfassender. Gleichzeitig trifft diese technologische Lawine auf oft unvorbereitete Nutzerinnen und Nutzer. Ein funktionierendes Bedienkonzept in einem Fahrzeug holt jeden Menschen ab, der sich hinter das Steuer setzt – ganz gleich, ob jung oder alt, erfahren oder unerfahren. Die Bedienung muss intuitiv sein und sie sollte einem gelernten Schema folgen. Wenn ich mir das Bedienkonzept manches modernen Fahrzeugs, so anschaue, dann sind durchaus Zweifel angebracht.
Was sind das für Zweifel?
Nehmen wir sicherheitsrelevante Bedienfunktionen wie etwa den Warnblinker. Der Knopf oder Taster dafür sitzt modernen Fahrzeugen an unterschiedlichsten Stellen im Cockpit und seine rote Signalfarbe steht im Wettbewerb mit allerhand Infotainment-Glitzer. In einer Probandenstudie, die wir durchgeführt haben, konnten wir zeigen, dass Menschen in modernen Fahrzeug-Cockpits durchaus Schwierigkeiten haben, sich zu orientieren. Heutige Bedienkonzepte erfordern häufig Zeit für intensive Einarbeitung. Die nehmen sich aber die Wenigsten. Deshalb ist die
Standardisierung sicherheitsrelevanter Bedienfunktionen unabdingbar. Die findet aber nicht statt, weil Hersteller sich durch Bedienkonzepte vom Wettbewerb differenzieren wollen. Man könnte sagen: Ökonomie schlägt Ergonomie.
Das heißt, es gehen durchaus auch Gefahren von komplizierten Bedienkonzepten aus?
Bei den Bedienkonzepten ist es wie beim Gassigehen mit dem Hund. Das Problem befindet sich meist am anderen Ende der Leine. Sprich: Das Design dieser Konzepte muss zu den Hirnstrukturen der Nutzer passen. Der Sprung vom ‚Winker zum Blinker‘ vor Jahrzehnten war für Autofahrer beherrschbar. Beim ‚Blinker mit Zwinker‘, dem Aktivieren des Blinkers über eine bestimmte Blickrichtung, ist das anders. Hier kann es schnell zur Fehlbedienung und Überforderung kommen. Bedienkonzepte müssen also verständlich, selbsterklärend, interpretationsfrei und vor allem fehlerfrei funktionieren. Sonst führt das zu Überforderung und damit verbunden zur Nachlässigkeit. Und wenn Nutzerinnen und Nutzer sich verweigern, dann verweigert sich irgendwann auch das Fahrzeug. Das ist kreuzgefährlich.
Wir sehen das bei Car-Sharing-Modellen: Die Fahrerinnen und Fahrer kennen die Fahrzeuge, in die sie sich setzen, in den allermeisten Fällen nicht. Studien haben herausgefunden, dass Car-Sharing-Nutzer sich weniger als drei Minuten mit den Fahrzeugfunktionen beschäftigen und gleich losfahren – erst recht, wenn die Nutzung nach Minuten abgerechnet wird. Die Funktion des Radios oder der Lüftung wird erst während der Fahrt erkundet, was zu Ablenkung führt und die Unfallgefahr drastisch erhöht. Deshalb ist es so wichtig, dass die Bedienung – zumindest der Grundfunktionen in einem Auto – möglichst einfach und eingängig ist.
Welche Rolle spielen Fahrerassistenzsysteme in Bezug auf Ergonomie und Bedienkonzepte in Fahrzeugen? Sind sie Fluch oder Segen?
Sie sind beides. Fahrerassistenzsysteme sind im modernen Automobil schlicht nicht mehr wegzudenken. ESP-Systeme der ersten Generation unterscheiden sich grundlegend von Multi-Sensor- und Radar-gestützten-Sicherheitssystemen in heutigen Modellen. Bei allen Generationen steht außer Frage, dass sie das Potenzial haben, das Autofahren sicherer zu machen. Das gelingt, wenn sie die Menschen am Steuer unterstützen und nicht überfordern oder gar ablenken. Nehmen wir zum Beispiel den automatisch agierenden Spurwechselassistenten, der schon alleine beim Blick in den Rückspiegel den Blinker aktiviert und kameraüberwacht den Überholvorgang einleitet. Zwar muss der Fahrer den anstehenden Spurwechsel bestätigen, das alles hat aber das Potenzial, den Menschen am Steuer zu überfordern. Ein bisschen Fluch ist also auch dabei.
Angenommen Sie dürften entscheiden: Welche fahrerunterstützende Funktion in modernen Fahrzeugen würden Sie aus den Ausstattungslisten streichen?
Es liegt mir fern, das Entwickeln moderner Assistenzsysteme zu verbieten. Streichen würde ich nichts, nur vielleicht ergänzen. Es braucht Fahrerassistenzsysteme, die richtiges Verhalten belohnen, die nicht nur warnen oder aktiv in den Fahrbetrieb eingreifen. Warum nicht ein System entwickeln, dass die allgegenwärtige Überwachung durch Kameras und Sensoren für Belohnungen und positives Feedback an den Fahrer nutzt. Feedbacksysteme, die richtiges Verhalten erkennen und belohnen, können einen wirklich großen Beitrag zu mehr Fahrsicherheit leisten. Das kann ganz klein sein, etwa eine lobende Nachricht auf dem zentralen Display nach eine Fahrpause auf einer Raststätte.
Die DEKRA Verkehrssicherheitsreports im Internet: https://www.dekra-roadsafety.com