Früher war es üblich, eine Ausbildung zu machen und in diesem Beruf auch weiterzuarbeiten. Heutzutage ist es normal, sich auszuprobieren und neue Wege einzuschlagen.
Sandra Märki ist 34 Jahre alt und kommt gebürtig aus der Schweiz, vom Thunersee. Dort ist sie aufgewachsen und startete nach dem Abitur eine Ausbildung als Grafikerin. Doch erfüllt hat sie dieser Beruf nie. Denn ihr Interesse lag schon immer im technischen Bereich – mit großer Leidenschaft für Autos.
Von zwei zu vier Rädern
Die Affinität zum Handwerk lag bei Sandra quasi in der Wiege. Schon als Kind half sie ihrem Großvater in der Werkstatt – damals war es Holz statt Autos. Dann begann sie mit dem Schrauben an Motorrädern. „Ich konnte mir nicht gleichzeitig den Motorrad- und Autoführerschein leisten“, erzählt sie. Deshalb kaufte sie ein günstiges Motorrad, um an diesem zu basteln. „Ich habe jede Schraube mit einem Zettel beschriftet, denn ich hatte keine Ahnung von dem Ganzen, wollte es aber unbedingt lernen.“ Ein klares Argument für den Job als Mechatronikerin war, dass sie Dinge selbst machen möchte, ohne auf jemanden angewiesen zu sein. Doch nicht nur für Zweiräder, sondern auch für Autos konnte Sandra sich schon immer begeistern. Besonderes Interesse hatte sie an dem Innocenti Mini Cooper (BJ 1974) ihres Vaters – so entwickelte sich die Liebe zu Oldtimern. Der alte Mini fährt zwar seit rund 30 Jahren nicht mehr, doch Sandras Wunsch ist es, ihn zu restaurieren und wieder auf die Straße zu bekommen.
Auf Umwegen zum Ziel
Trotz der Faszination für Autos und Handwerk ging Sandra nicht direkt nach der Schule in die Kfz-Branche. Doch warum war Kfz-Mechatronikerin nicht ihre erste Wahl? „Vor etwa 15 Jahren war es für Frauen noch schwieriger, in technische Berufe einzusteigen. Es gab viele Klischees und Vorurteile, die es zwar heute immer noch gibt, aber nicht mehr so extrem.“ Sie sah damals keine große Chance, in einer Werkstatt Fuß fassen zu können. „Ehrlich gesagt hat mir mit gerade mal 18 Jahren auch der Mut gefehlt, um es einfach auszuprobieren“, ergänzt sie.
Herzensentscheidung
Die perfekte Gelegenheit für einen Neuanfang ergab sich, als sie mit ihrem Partner Daniel zusammenziehen wollte. Da dieser in einem kleinen Dorf in Bayern lebt, war für Sandra klar: Dort gibt es kaum Stellen für Mediengestalter. Doch in diesem Beruf wollte sie ohnehin nicht weitermachen. Mit dem Auswandern bot sich die Chance für eine komplette Veränderung. „Ich dachte mir: wenn nicht jetzt, dann nie wieder. Und nie war keine Option für mich. Denn ich muss mindestens noch 30 Jahre arbeiten – und das ist zu lange für etwas, was ich nicht wirklich mag.“ Da war klar, es muss jetzt der Traumjob als Kfz-Mechatronikerin sein – dieser Job oder keiner. So „schnupperte“ sie noch vor dem Umzug nach Bayern in den Kfz-Job. Dort zeigte sich: „Das ist genau das, was mir gefällt.“
Aller Anfang ist schwer
Der Start in die Kfz-Branche war eine echte Herausforderung. Um einen Ausbildungsplatz musste Sandra kämpfen. „Ja, wir Frauen müssen uns mehr behaupten, Ich habe fast keine Stelle gefunden. Dabei spielte es keine Rolle, wie gut meine Zeugnisse waren und wie groß meine Motivation.“ Denn es kamen viele Ablehnungen – meist begleitet von Ausreden. Doch Aufgeben war für Sandra nie eine Option. Als sie zu ihrem Freund zog, begann sie zeitnah die Ausbildung zur Kfz-Mechatronikerin in der Nähe. 2023 beendete die gebürtige Schweizerin ihre Ausbildung sogar bei Kfz Edgar Bigler – der Werkstatt des Schwiegervaters in Spee, wo auch Daniel arbeitet. Nennen wir es Glück, Schicksal oder Zufall, dass ihr Freund genau das beruflich machte, was sie auch machen möchte. Noch ein Ansporn mehr für Sandra.
Hauptsache Motor – und am liebsten alt
Derzeit ist die Werkstatt aufgrund der Nähe zu Ingolstadt auf Audis spezialisiert – genauer gesagt auf das A2-Modell. Von diesem ist Familie Bigler überzeugt und auch Sandra ist ein Fan. Bei der Wahl ihres fahrbaren Untersatzes ist sie bescheiden. „Mein Auto ist das am wenigsten repräsentative auf dem ganzen Hof. Nennt sich Mechanikerauto, also irgendetwas, das eigentlich schon drei Mal gestorben ist“, scherzt sie über ihren Fiat Seicento. Dennoch liebt sie ihr Gefährt. Für Sandra müssen Autos nicht schnell sein – Oldtimer oder Geländewagen sind ihr Ding. Apropos Geländewagen: Zu Sandras Hobbies gehört auch das Offroad-Trials fahren.
Arbeit mit Leidenschaft
Was liebt die Kfzlerin an ihrem Job? Etwas mit den Händen erschaffen macht sie stolz. Sandra schwärmt vor allem von Großprojekten: „Ich liebe es, wenn man viel an einem Fahrzeug machen muss und es dabei komplett zerlegen kann. Dafür nehme ich mir auch bewusst die Zeit und schaue mir jedes Bauteil genau an. Schließlich möchte ich auch alle Funktionsweisen genau verstehen.“ Diese Art von Projekten bieten sich im Kfz-Meisterbetrieb Edgar Bigler an, da die Werkstatt Audi A2-Modelle auf Wunsch auch komplett neu aufbaut.
Eine sichere Nummer
Kfz-Mechatronikerin ist nicht nur für Sandra ein zukunftssicherer Job, sondern auch allgemein ein Job mit Perspektive. Früher konnten Autobesitzer vieles selbst machen, heutzutage ist man meist auf eine Werkstatt angewiesen. „Die Autos werden immer komplizierter. Vor allem von Elektroautos und Hybriden sollten Laien die Finger lassen“, sagt Sandra. Sie zieht einen Vergleich: „Es ist wie in der Gesundheitsbranche: Wir werden immer Ärzte brauchen. Und im Grunde genommen bin ich ein Arzt fürs Auto.“
Ehrgeiz zahlt sich aus
Mehrfach hat sich bei Sandra gezeigt, dass es sich lohnt, dranzubleiben. Heute ist sie glücklich mit ihrem Job: „Ich mache jetzt das beruflich, was ich früher als Hobby gemacht habe und bekomme auch noch Geld dafür.“ Zudem hat sie bewiesen, dass der Job genau der richtige für sie ist. Sandra war bereits in ihrer Ausbildung Jahrgangs- sowie Innungsbeste der Kfz-Innung München Oberbayern im Prüfungsjahr 2023. Und sie war erst Zweitplatzierte auf dem Siegertreppchen beim Nachwuchsförderungsprogramm Camp der Champs, dann Erstplatzierte beim Weiterbildungsformat Experten-Trophy.
Traut euch!
Eine Neuorientierung ist ein großer Schritt, keine Frage. Doch wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Und im Grunde genommen ist es nie zu spät – vor allem, wenn das eigene Glück und Wohlbefinden davon abhängt. Explizit, wenn Herzblut an einer Tätigkeit hängt und die Affinität so groß ist, wie bei Sandra zu Autos. Was ihr dabei half, ist folgender Gedanke: „Ich arbeite noch viele Jahre. Die Zeit, die vergeht, wenn ich eine neue Ausbildung mache, ist kurz im Vergleich zu dem, was noch kommt. Und wenn du dir das vor Augen führst, es ist noch relativ lange rentabel, was anderes zu machen.“ Alles was zählt, ist der Wille, eine Grundmotivation und Ehrgeiz.