Teile der Telematik-Infrastruktur werden heute verwendet, um die Lkw-Maut zu erfassen.

Die kurze Karriere
der Telematik

Mobilfunk und Vernetzung sollen auch im Straßenverkehr vieles besser und einfacher machen. Dafür wurde anfangs ein heute fast vergessenes Kunstwort verwendet: Telematik.

Das Wort schon einmal gehört? Vielleicht bei der Kfz-Versicherung. Da bieten einige Versicherer günstigere sogenannte Telematik-Tarife an, wenn Fahrerinnen oder Fahrer bereit sind, eine Art Blackbox im Auto zu installieren, die Daten zu ihrem Fahrverhalten per Mobilfunk-App überträgt. Daraus können Versicherer schließen, ob sich ihre Kunden an Verkehrsregeln halten und ob ihr Fahrstil okay ist. Big brother is watching you – immerhin lockt er dafür mit Beitragsrabatten.

Als Telematik zum Zauberwort für besseren Verkehrsfluss auf unseren Straßen wurde, meinte der Begriff noch etwas anderes: intelligente Verkehrslenkung durch die Verknüpfung von Telekommunikation mit Informatik. Kurz Telematik. Um die Idee zu verstehen, versetzen wir uns einmal zurück auf die Straßen der 1990er-Jahre. Wenig überraschend, dass es auch damals schon Staus gab.

Die technischen Antworten darauf muten heute vorsintflutlich an. Man experimentierte mit Leitpfosten seitlich der Fahrbahn, die per Infrarotsignalen eine Richtgeschwindigkeit in die vorbeifahrenden Autos übermitteln sollten. Oder verlegte Induktionsschleifen im Belag von Autobahnen, die mehr oder minder genau zählten, wie viele Fahrzeuge gerade vorbeikamen. Diese Informationen gingen an eine Leitzentrale, die ihrerseits die Geschwindigkeitsanzeigen von elektronischen gesteuerten Verkehrszeichen an die Verkehrsdichte anpasste.

Neue Möglichkeiten der Verkehrserfassung

Das Herumprobieren hatte ein Ende, als der Mobilfunk sich daran machte, die Welt zu verändern. Die Ingenieure der Automobil- und Mobilfunkindustrie kamen schnell auf den Trichter, dass man Autofahrer über das Handy individuell erreichen und ihnen eventuell eine Dienstleistung verkaufen kann: Stau- und Umleitungsinformationen in Echtzeit. Sie ins Auto zu bringen war die eine Seite. Die Verkehrslage zu erfassen war die andere. Das war der Part der Informatik im neuen Kunstbegriff Telematik. Dazu gründete sich die DDG Gesellschaft für Verkehrsdaten, die bis zum Jahr 2000 etwa 4000 solarbetriebene Sensoren an Schilder- und Autobahnbrücken installierte. Sie erfassten die mittlere Geschwindigkeit und die Größe der Fahrzeuge, die auf den Autobahnen unter ihnen vorbeibrausten, und übertrugen die Daten an ein Rechenzentrum.

Die Konkurrenten: Tegaron und Passo

Mit diesen Daten operierten zwei Anbieter: Tegaron, ein Gemeinschaftsunternehmen von Mercedes-Benz und Telekom für Kunden des D1-Netzes, und Mannesmann Autocom für D2- und E-Plus-Nutzer mit seinem Verkehrsdienst Passo. Nutzer meldeten sich – kostenpflichtig – bei Tegaron oder Passo an und gaben vor Abfahrt ihr Fahrtziel und die geplante Route durch. Wenn ein Stau drohte, klingelte das Handy, und eine synthetische Stimme gab Umleitungsempfehlungen.

Wirklich hilfreich war diese Urform der individuellen Echtzeit-Verkehrsinformation nicht, war weder präziser noch wesentlich schneller als die Meldungen im Autoradio. Deshalb rüsteten beide Anbieter bald auf und kombinierten ihre Dienste mit GPS-Navigation, die den Markt gerade eroberte. Für eine monatliche Grundgebühr und zusätzliche Kosten pro Abfrage gab es die Umleitungsempfehlung nun automatisiert aus dem Navigationssystem. Weil die Erfassungs-Infrastruktur von DDG aber nur die Verkehrslage auf den Autobahnen abdeckte, boten die Empfehlungen von Tegaron und Passo keinen echten Mehrwert. Wer ein GPS-Navi im Auto hatte und nach einer Staumeldung aus dem Radio die Autobahn verließ, bekam in der Regel den identischen Routenvorschlag.

Ein Lkw unterquert eine Sensoren-Brücke, die automatisch die LKW-Maut erfasst.
Teile der Telematik-Infrastruktur werden heute verwendet, um die Lkw-Maut zu erfassen.

Teuer und ohne klaren Mehrwert

Um die Geschichte nicht allzu lang zu erzählen: Die Dienste waren wegen des nicht erkennbaren Mehrwerts gegenüber kostenfrei erhältlichen Verkehrsinformationen nicht besonders nachgefragt. Auch die Idee, die Nutzer der jeweiligen Dienste zu einem Schwarm zu vereinen und per Floating Car Data die Informationsqualität zu erhöhen, zog nicht. Die Zahl der Abonnenten war zu gering, und viele Kunden wollten nicht, dass man ihre Wege anhand der übermittelten Daten eventuell nachvollziehen könnte. Tegaron, Passo und die DDG sind längst vom Markt verschwunden. Teile der aufgebauten Infrastruktur konnte man noch für die elektronische Erfassung der Lkw-Maut gebrauchen.

Bis heute eine Marktlücke

Kein Anbieter hat es seither geschafft, einen kostenpflichtigen Verkehrsdienst als Geschäftsmodell zu etablieren. Die damals schon angedachte Schwarmintelligenz könnte allerdings ein Modell für die Zukunft sein: Das präziseste Bild des Verkehrsgeschehens entsteht aus den anonymisierten Bewegungsdaten aller beteiligten Fahrzeuge. Viel präziser, als teure Sensoren in der Fahrbahn, am Straßenrand oder auf Schilderbrücken es jemals zeichnen könnten. Funkmodule sind heute in allen Neufahrzeugen verbaut – jetzt fehlt nur noch die zündende Idee, wie man diese Daten zusammenführt und sinnvoll nutzt.

Bilder: Adobe Stock/Ingo Bartussek
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