Induktives Laden ist keine Weltneuheit mehr, dennoch könnte die Technik schon bald in neue Sphären vordringen. Nachdem das Positionierungssystem eines deutschen Automobilzulieferers zum Branchenstandard erklärt wurde, rückt die Markteinführung von kabellosen Ladelösungen näher.
In der Welt der E-Mobilität könnte die Induktionsladung schon bald (elektromagnetische) Wellen schlagen. Der Stuttgarter Automobilzulieferer Mahle arbeitet gemeinsam mit Siemens und dem US-Unternehmen Witricity, das auf kabellose Ladelösungen spezialisiert ist, an einer induktiven Ladetechnologie für E-Autos. SAE International, ein US-amerikanisches Institut für Normierungen im Mobilitätsbereich, das vergleichbar mit dem Deutschen Institut für Normung (DIN) ist, erklärte das dazugehörige Positionierungssystem von Mahle im August 2024 zur globalen Standardlösung. Damit macht Mahle einen richtungsweisenden Schritt in Richtung auf die Serienproduktion des kabellosen Gesamtsystems.
Von Sendern und Empfängern
Künftig könnte das induktive Ladesystem, ein Zusammenspiel aus Infrastruktur und Fahrzeugtechnik, mit den gängigen Wallboxen und Ladesäulen konkurrieren – oder diese sogar langfristig vom Markt verdrängen. Bis dato lancierten Automobilhersteller nur vereinzelte Induktionslösungen für E-Autos, die aufgrund fehlender Standardisierungen immer nur auf bestimmte Fahrzeugmodelle maßgeschneidert wurden – beispielsweise die induktive Ladelösung für den BMW 530e aus dem Jahre 2018.
Die Induktionsladung basiert auf dem Prinzip elektromagnetischer Wellen und besteht aus zwei Hauptkomponenten, vereinfacht gesagt aus einer Sender- und einer Empfängereinheit. Der von Siemens entwickelte „Sender“ wird fest im Boden von Garagen oder öffentlichen Parkplätzen installiert. Der „Empfänger“, den Mahle herstellt, wird im Fahrzeugboden der jeweiligen E-Autos verbaut.
Strom ist nicht gleich Strom
Der Ladeprozess geht von der Sendeeinheit aus, die unter anderem mit einer Kupferspule versehen ist, durch die der im Elektrizitätsnetz übliche Wechselstrom fließt. Die Spule erzeugt ein Magnetfeld mit einer Frequenz von 85 Kilohertz, an das sich der „Empfänger“ andockt. Der Ladeprozess beginnt, sobald der „Empfänger“ mitsamt einer darin verbauten Kupferspule über dem Magnetfeld positioniert ist.
Kurzum: Der Wechselstrom fließt in den „Empfänger“, wo ihn ein Gleichrichter in Gleichstrom umwandelt und an den Akku weiterleitet. Technisch bedingt speichern E-Fahrzeuge ihre Antriebsenergie in Form von Gleichstrom, während ihre Motoren mit Wechselstrom betrieben werden. Also wandelt ein sogenannter Wechselrichter den gespeicherten Gleichstrom auf seinem Weg zum E-Motor zurück in Wechselstrom.
Alle Wege führen zum Strom
Um den Ladeprozess zu einer Effizienz zu bringen, die dem konventionellen Laden mit einem Kabel vergleichbar ist, müssen „Sender“ und „Empfänger“ möglichst deckungsgleich zueinander positioniert werden. Je größer die Abweichung, desto weniger Strom wird übertragen. Für diese Anforderung integriert Mahle das bereits erwähnte Positionierungssystem. Ohnehin haben die beiden Flächen, anders als bei den gebräuchlichen Induktionsladesystemen für Handys, ja nie direkten Kontakt. Zwischen Aufstandsfläche der Reifen und dem Fahrzeugboden klafft immer die Lücke, die man landläufig als Bodenfreiheit bezeichnet. Das System von Mahle ist dabei so konstruiert, dass es vom tiefergelegten Sportwagen bis zum hochbeinigen SUV gleich gut funktioniert und auch von Nässe, Laub oder Schnee nicht beeinträchtigt wird.
Umso wichtiger ist es, die beiden Flächen von „Sender“ und „Empfänger“ exakt auszurichten. Das notwendige Maß dieser Genauigkeit sind wenige Millimeter. Das Mahle-Positionierungssystem ist kombinierbar mit Assistenten zum autonomen Einparken, die der Fahrerin oder dem Fahrer die Millimeterarbeit abnehmen. Genauso gut lässt sich das Positionierungssystem manuell bedienen und assistiert den Nutzern als präzise Navigationshilfe über das Fahrzeugdisplay. „Sender“ und „Empfänger“ verbinden sich automatisch bei der Annäherung des Fahrzeugs an den Stellplatz und beginnen mit der Navigation. Auch den Ladevorgang selbst müssen Fahrerin oder Fahrer nicht aktiv starten, sondern können ihn der Technik überlassen.
Weniger ist mehr
Der Unterschied zum kabelgebundenen Laden liegt auf der Hand – im wahrsten Sinne des Wortes. Das automatisierte Wireless Charging-System erspart den Nutzern die sonst üblichen Handgriffe des Andockens und Anmeldens an einer Ladesäule. Als weitere Vorteile nennt Mahle, dass kein Verschleiß entstehen kann, wo keine mechanischen Teile benötigt werden. In einer ersten Stufe der Vermarktung seiner Systeme rechnen die Anbieter damit, dass Fahrzeughersteller zweigleisig fahren und ihre E-Autos mit je einem kabellosen und kabelgebundenen System ausstatten. Denn der Aufbau der stationären Ladeinfrastruktur wird sich nicht über Nacht realisieren lassen. Auf lange Sicht erhoffen sich die Entwickler, dass die Vorteile der kabellosen Lösung sich in die Entwicklung von zunehmend autonomen Fahrfunktionen einreihen.
Nur geringfügige Abstriche bei der Effizienz
Im Vergleich zum herkömmlichen Ladekabel geht beim induktiven Mahle-System aufgrund der sogenannten Magnetfeldstreuung in der Luftlücke zwischen den beiden Systemkomponenten etwas mehr Energie verloren. Laut Mahle beträgt der Wirkungsgrad der hauseigenen Ladelösung 92 Prozent, das Laden per Kabel erreicht unter idealen Bedingungen bis zu 94 Prozent. „Die bei der Induktionsladung ermittelten Wirkungsgrade sind damit also auf Augenhöhe mit den Werten konduktiver Ladesysteme“, sagt Christopher Lämmle, Leiter des Projekthauses Ladesysteme bei Mahle. Wann und in welchen Modellen die Technologie auf den Markt kommt, liegt nun bei den Fahrzeugherstellern. „In der Regel vergehen in der Automobilindustrie von der Standardisierung bis zum Serienprodukt drei bis vier Jahre“, so Lämmle.



