Eine Frontscheibe ist einfach nur eine durchsichtige Fläche aus Verbundglas? Das war einmal. Heute sind verschiedenste Funktionen in das Fenster zur Außenwelt integriert. Das macht für Autofahrer das Leben einerseits sicherer. Doch wenn die Scheibe getauscht werden muss, wird es richtig teuer.
In der Frühzeit des Automobils nannte man sie Windschutzscheibe, und das beschrieb zutreffend ihre Funktion. Die Scheibe schützte gegen Fahrtwind, Regen und Insekten, und sie musste nicht viel mehr können als die Sicht des Fahrers nach vorn sicherstellen. Ein besseres Fenster eben, assistiert von Scheibenwischern. Die einzige nennenswerte Innovation seit Erfindung des Automobils war, dass man die Scheiben ab den 1970er-Jahren mit Hilfe von Spezialfolien als Verbundglas herstellte, damit das Bauteil bei einem Bruch möglichst am Stück blieb und nicht Tausende von Splittern durch den Innenraum flogen.
Immer mehr Technik in der Frontscheibe
In modernen Autos sind mittlerweile bis zu 20 Funktionen in die Frontscheibe integriert. Die Regensensoren an der Scheibenoberkante sind schon ein gewohntes Bild. Seit Jahresmitte sind neu zugelassene Autos verpflichtend mit Tempowarner, Spurhalte- und Notbremsassistenten unterwegs, die eine Kamera erfordern. Auch sie hat ihren Platz am oberen Rand der Scheibe und wird auf der Innenseite der gewölbten Fläche exakt montiert. Damit die Kamera auch bei eisigen Temperaturen den Durchblick hat, muss die Scheibe an dieser Stelle beheizt werden. In einigen Fahrzeugmodellen ist die gesamte Frontscheibe beheizt, was in der Regel mit feinsten Heizdrähten im Verbundglas umgesetzt wird. Auch die feinen Gespinste von GPS-, Mobilfunk- oder DAB-Antennen finden gern in der Frontscheibe Unterschlupf. Gesellschaft leisten ihnen dort Folien, die wärmeisolierend und / oder geräuschdämmend wirken. Autos mit Head-up-Display erfordern darüber hinaus speziell behandelte Bereiche der Scheibe als Projektionsfläche für die Fahrerinformationen.
Austausch oft sehr zeitaufwändig
Auf das zum Hightech-Teil gewordene Autofenster fällt allerdings ein Schatten: Schon bei kleinen Glasschäden an neuralgischen Stellen, etwa dem Sichtbereich der Kamera, wird ein Kompletttausch fällig. Der kann kompliziert werden, alleine schon weil die Frontscheiben immer größer werden, nicht nur im sichtbaren Bereich. Oft reichen sie bis unter die Fronthaube oder bis ins Dach, wo die Anschlüsse des Sensorik-Allerlei untergebracht sind. Unter Autoglasern berüchtigt ist der Scheibentausch beim Tesla Model 3: Um die Scheibe freizulegen, müssen mehrere Kunststoff-Abdeckungen im Vorderwagen, im sogenannten Frunk, die Scheibenwischer mitsamt Wischergestänge und Teile der Türdichtungen demontiert werden. Auch bei anderen Fahrzeugen ist lange Vorarbeit nötig, um schließlich die Scheibe herauszutrennen. Zeit ist hier buchstäblich Geld.
Ohne Neukalibrierung keine funktionierenden Assistenzsysteme
Ebenfalls teuer ist die Neukalibrierung. Wird eine Scheibe mitsamt Kamera getauscht, muss das Neuteil exakt justiert und die Software der Assistenzsysteme aufgespielt werden. Schon kleinste Abweichungen beim Kalibrieren können gefährliche Fehlinterpretationen der Fahrzeugumgebung zur Folge haben. Haben geübte Autoglaser früher eine Scheibe in einigen Minuten getauscht, wird die Arbeitszeit heute in Stunden gemessen. Die Ersatzscheibe kann je nach Aufwand Kosten von 1500 Euro und mehr verursachen.
Kostenexplosion bei den Kfz-Versicherern
Die Kfz-Versicherer beobachten diesen Trend mit Unbehagen. Weil Glasbruchschäden eine Kasko-Leistung sind, begleicht in der Regel die Kfz-Versicherung die Rechnung. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) hat errechnet, dass Assistenzsysteme die Reparaturkosten von Frontscheibenschäden um etwa 25 Prozent nach oben getrieben haben. Diese Kosten geben sie in Form steigender Beiträge an die Versicherten weiter. Eine seltsame Wechselwirkung: Assistenzsysteme sollen Unfälle verhindern. Das tun sie auch. Doch ein guter Teil der eingesparten Unfallreparaturen wird aufgefressen durch immer aufwändigere Scheibenreparaturen selbst nach vergleichsweise kleinen Steinschlägen.