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Automatischer Notruf im Auto –
alles schon mal dagewesen

Eine Idee muss nicht nur gut sein, sie muss auch zur richtigen Zeit kommen. Ideen für Unfallnotruf-Systeme wie E-Call sind nicht neu, doch erst jetzt erfolgreich.

Der Automobilkonzern Mercedes-Benz galt lange Zeit als Vorreiter für technische Innovationen in Sachen Sicherheit. Beispiele: die Karosserie mit sogenannten Knautschzonen für mehr Insassensicherheit, das elektronisch gesteuerte ABS oder die Stabilitätskontrolle ESP. Mercedes-Benz war immer der erste Hersteller, der sie in Serie brachte.

Mercedes: oft Vorreiter, doch manches floppt auch

Mercedes-Benz hat andererseits auch Innovationen entwickelt, die nicht in Serie gingen oder sich am Markt nicht durchsetzten, weil die Zeit nicht reif war. Beispiel Elektroautos: Schon 1972 baute man gemeinsam mit dem Batteriehersteller Varta eine kleine Serie von Leichttransportern mit Elektroantrieb, die unter anderem während der Olympischen Spiele in München erprobt wurden. Es blieb beim Versuch, obwohl die Ingenieure ein System mit schnell wechselbaren Akkus ausgetüftelt hatten, um das Problem der langen Ladezeiten zu lösen.

20 Jahre später starteten bei Mercedes-Benz die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten an der Brennstoffzellentechnologie, in die hohe Millionenbeträge investiert wurden. Sie schienen ebenfalls lange Zeit verbranntes Geld zu sein. Man hatte Autos mit Wasserstoff-Brennstoffzellenantrieb bis zur Serienreife entwickelt, doch kein Modell ging je in Produktion. Erst jetzt, wo Wasserstoff als Ersatz für fossile Brennstoffe auf die Energie-Agenda gerückt ist, wird Brennstoffzellenantrieben wieder eine Zukunft prognostiziert: als emissionsarme Diesel-Nachfolger für Lastwagen, Busse und Schienenfahrzeuge.

Exklusives Notrufsystem Tele Aid

Ähnlich liest sich die Geschichte eines automatischen Notrufsystems, das Mercedes-Benz 1997 unter dem Namen Tele Aid (Telematic Alarm Identification on Demand) erstmals vermarktet hat. Die Idee super, der Erfolg bescheiden, die Zeit noch nicht reif. Prinzipiell entsprach das System von Mercedes-Benz vor gut 25 Jahren schon dem, was seit 2018 in der Europäischen Union in allen neu typzugelassenen Pkw und leichten Nutzfahrzeugen verpflichtend ist: dem Notrufsystem E-Call (Emergency Call = Notruf).

Das Notrufsystem Tele Aid von Mercedes-Benz verfügte über einen Alarmknopf mit rotem Symbol für SOS
Position und Aussehen des Notruf-Tasters von Tele Aid sind nahezu identisch mit dem, was heute als E-Call im Fahrzeug installiert ist.

E-Call von heute verfügt über eine fest im Auto eingebaute SIM-Karte sowie einen Empfänger für globale Navigationssatellitensysteme und erkennt schwere Unfälle über Sensoren in der Steuerung der Airbags. Lösen die Airbags aus, stellt E-Call über Mobilfunk automatisch eine Verbindung zur europaweit einheitlichen Notrufnummer 112 her. Die Leitstelle kann mit den Fahrzeuginsassen eine Sprechverbindung aufnehmen und erhält außerdem automatisiert Daten zum Unfallzeitpunkt sowie zur Position und der Fahrtrichtung des Unfallwagens.

Technisch möglich ist die Übertragung weiterer Fahrzeugdaten an die Notrufzentrale, beispielsweise ob ein Überschlag stattfand oder die Batterietemperatur eines E-Autos. Die Systeme sind aus datenrechtlichen Gründen so konstruiert, dass sie zwar zwei Fahrzeugpositionen der letzten 15 Sekunden vor dem Alarm speichern, sich aber keine Rückschlüsse auf die Geschwindigkeit oder das Bewegungsprofil des Fahrzeugs ziehen lassen.

Ambitionierter Versuch in der Steinzeit des Mobilfunks

In den frühen 1990er-Jahren sieht die Welt der Telekommunikation noch komplett anders aus. Mobilfunknetze sind eben erst im Aufbau und Lichtjahre entfernt vom flächendeckenden Ausbau. Doch immerhin ist das Satellitenortungssystem GPS jetzt für zivile Nutzung zugänglich und wird von Mercedes-Benz für die neueste Generation seiner Navigationsgeräte genutzt. Mobiltelefone werden rasch zu Alltagsgegenständen, und Mercedes-Benz setzt in seinen Oberklassemodellen Crash-Sensoren ein, um die Gurtstraffer und Airbags zu aktivieren. Die Kombination dieser drei Technologien lässt im Automobilkonzern die Idee entstehen, einen exklusiven automatischen Mercedes-Notrufdienst als Sonderausstattung zu entwickeln und anzubieten.

Die Umsetzung nach dem Markteintritt von Tele Aid im Januar 1997 läuft allerdings hakelig: Das fest eingebaute Mobiltelefon, für das Mercedes-Benz sich aus Sicherheitsgründen entscheidet, und der dafür benötigte Mobilfunkvertrag sind teuer. Problematisch ist auch, dass Kunden bei einem Fahrzeugwechsel das Mobilfunk-Equipment nicht einfach mitnehmen können. Tele Aid greift nicht auf die etablierten Rettungsdienste zurück, sondern baut – zunächst in Deutschland – eigene Notrufzentralen auf. Das macht den Dienst für die Nutzer teuer, für den Anbieter unwirtschaftlich, und er wird nur zögerlich nachgefragt. Zwar weitet man Tele Aid bis 2004 auf neun europäische Länder aus, doch schon 2005 wird der Dienst in Europa wieder komplett eingestellt. Besser ist es in Japan und den USA gelaufen, wo man gut ausgebaute Mobilfunknetze nutzen kann und mit den örtlichen Rettungsleitstellen kooperiert.

Heute ist die Technik preiswert und frei verfügbar

Erst in den 2010er-Jahren ist die Zeit für automatisierte Notrufsysteme gekommen: Fest eingebaute Funkmodule kosten nicht mehr viel und brauchen auch keinen Mobilfunkvertrag. Die Netze sind besser ausgebaut und übertragen Notrufe schneller und zielgenau. Seit 2012 bietet Mercedes unter dem Namen Mercedes-Benz Notruf wieder eine markeneigene Dienstleistung an. Sie ist in Europa, Nordamerika und Teilen Asiens verfügbar.

Andere Hersteller sind diesem Beispiel gefolgt, doch erst mit dem EU-weit verfügbaren und seit 2018 für neu homologierte Fahrzeugmodelle verpflichtenden System E-Call steht ein automatischer und vor allem kostenfreier Notrufdienst für alle Autofahrer in Europa zur Verfügung.

Bilder: Mercedes-Benz
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